Indien August 2023
Mein Besuch in Indien im August 2023 war nicht mein erster. Bereits im März 2023 durfte ich Thorsten Fischer nach Mumbai begleiten. Er selbst ist bereits jahrzehntelanger Ausbilder des Fasziendistorsionsmodels nach Typaldos in Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien und der Schweiz. Nun ist er der Erste überhaupt, der diese effiziente und kostengünstige Behandlungsmethode seit 2021 nach Indien transportierte. Meine tägliche Arbeit als Master of Science in Neurologie liegt darin die neurologischen Aspekte innerhalb des FDM und anderen Konzepten herauszuarbeiten und zu untersuchen. Thorsten lud mich also dazu ein meine praktischen Erkenntnisse den KursteilnehmerInnen in Mumbai vorzustellen.
Wir kennen uns beide bereits schon sehr lange. Regelmässig philosophieren wir über unser gemeinsames Ziel: die kostengünstige und effiziente Therapiemethode des FDM weltweit zu verbreiten. Der Bedarf an gut ausgebildeten Fachleuten, die ohne teure Apparaturen den Menschen erfassen und behandeln können ist enorm hoch. In Ländern wie Indien, den Philippinen und bspw. Indonesien ist die Nachfrage gross und wir möchten alles daransetzen so vielen Menschen wie möglich ein schmerzfreies und selbstwirksames Leben zu ermöglichen. Indem wir unsere Expertise an andere weitergeben und Therapeuten weltweit darin unterstützen sich weiterzuentwickeln.
Ich selbst bin in der sicheren Schweiz geboren und aufgewachsen. Nie musste ich mir im persönlichen Umfeld Gedanken machen über hygienische Missstände, Krieg, Umweltkatastrophen und Armut. Nun war es an der Zeit für mich der Welt etwas zurückzugeben. Thorsten verdanke ich einzig und allein den Sprung nach Indien. Er eröffnete mir eine Welt, die ich nicht kannte. Und voller Dankbarkeit erfahre ich eine Lebensschule wovon ich letztes Jahr noch nicht zu träumen wagte. Die Reise geht weiter…
Dieses Mal allein. Eine Reise in ein Land, welches gegensätzlicher nicht sein könnte.
Ein Land, in welchem über 1,5 Milliarden Menschen leben, mehr als 150 verschiedene Sprachen gesprochen werden, ein subtropisches Kontinentalklima herrscht, eine enorme Artenvielfalt und Biodiversität besteht, und das Essen für uns Europäer eine ernstzunehmende Challenge darstellt, um nicht unnötig oft die Toilette aufsuchen zu müssen. Zum Frühstück sucht man vergeblich nach Marmelade und Zopf, das meiste ist salzig und natürlich immer leicht pikant bis scharf. Auch das Leitungswasser zu trinken ist keine gute Idee. Durch die Monsunzeit wird das Leitungswasser stark verschmutzt und ist somit ein Garant für die Diarrhö.
Schätzungen zufolge wird sich das Bevölkerungswachstum in Indien in den nächsten Jahrzehnten kaum abschwächen. Indien hat zum 14. April 2023 die Volksrepublik China als bevölkerungsreichstes Land der Erde abgelöst. Durch fortschreitende Modernisierung, Bildung, Wohlstand und Verstädterung sinkt die Geburtenrate zwar bereits, das Bevölkerungswachstum erklärt sich jedoch nicht aus einer gestiegenen Geburtenrate, sondern aus der in den letzten Jahrzehnten gestiegenen Lebensdauer. Dies ist unter anderem auf eine Verbesserung der Gesundheitsfürsorge zurückzuführen. Überhaupt erscheint es mir, dass das Gesundheitswesen in Indien zurzeit sehr boomt und vom Staat stark unterstützt wird. So auch unsere Arbeit.
Vom 24.08. bis zum 01.09.2023 wurde ich auch dieses Mal als Instruktor von Dr. Chirag Joshi gebucht, sodass glücklicherweise alles für mich organisiert wurde. Die Abholung vom Flughafen, der Checkin ins Hotel, usw. Ohne diesen Support wäre es bestimmt nicht so reibungslos verlaufen, da auch das meiste in Hindi beschriftet war.
Am ersten Tag kam ich mitternachts in Mumbai an. Am internationalen Flughafen (Chhatrapati Shivaji Maharaj International Airport) in der Hauptstadt des Bundesstaates Maharashtra. Und diese niemals ruhende Stadt ist eindeutig zu viel für meine, an die ruhige Schweiz gewohnten, Sinnesorgane. Überall Verkehr ohne erkennbares System, hupende Tuktuks, freilaufende heilige Kühe und Hunde, bettelnde Kinder, aufdringliche Händler, hunderte von Menschen an jeder Ecke. Ich verbrachte nur eine Nacht in Mumbai um von dort über einen eineinhalbstündigen Inlandflug nach Indore, Madhya Paresh (M.P.), zu gelangen, wo ich in den folgenden zwei Tagen einen Kurs abhalten durfte.
Am ersten Abend wurde mit mir ein Ausflug in einen der grössten indischen Tempel, dem Mahakaleshwar-Tempel in Ujjain, organsiert. Der Mahakaleshwar-Tempel zählt zu einer der 12 Jyotirlingas des Landes und ist einer der bekanntesten Tempel in Ujjain. Er ist der hinduistischen Gottheit Shiva gewidmet. Dr. Mahesh Sahu, Dr. Sunil Patel und Dr. Chirag Joshi haben mir alles erklärt, ich wusste es sehr zu schätzen, dass ich gleich drei Tourguides neben mir hatte (VIDEO TRADITIONEN INDIEN) .
Am zweiten Tag in Indien galt es Ernst für mich. Kursstart war um 09.30 Uhr und der Saal füllte sich allmählich mit neuen Gesichtern und auch Leuten, welche ich bereits im März 2023 in Mumbai unterrichtet und kennengelernt habe.
Dieser Kurs wurde von mir selbst konzipiert und wird als FUNCTIONAL NEUROCEPTIVE TECHNIQUE (FNT) bezeichnet. Er umfasst meine Erfahrungen aus 16 Jahren klinischer Arbeit im Bereich der Neurowissenschaften, der manuellen Medizin und der Neurorehabilitation zusammen (VIDEO FNT). Der Kurs beinhaltete folgende drei Säulen:
- Die neurologische Diagnostik (NEURO-CHALLENGE): Hier erlernten die Kursteilnehmer einen vollständigen neurologischen Status schnell und exakt zu erheben. Dieser umfasst 24 Testungen. Er berücksichtigt u.a alle Hirnnerven, die funktionelle Differenzierung der verschiedenen Gehirnareale, sowie die persistierenden primitiven Reflexe (VIDEO NEURO-CHALLENGE).
- Die manual-medizinische Behandlung: Der Mensch ist und bleibt ein rezeptorgesteuertes Wesen und das nützen wir aus. Die Kursteilnehmer erfuhren, wie alle Rezeptoren im Körper anzusprechen sind. Wir behandelten die Schädelknochen, die Dura Mater, aber auch die Gelenke respektive Muskelspindeln. Dafür nutzten wir das gesamte Repertoire von langsamen Pumptechniken über schnelle Manipulationen und noch vieles mehr (VIDEO MANUAL ADJUSTMENTS).
- Die Neurorehabilitation: Die Prinzipien des motorischen Lernens werden durch Heimübungen umgesetzt. Über eine Zeit von 4-8 Wochen wird die Plastizität unseres Gehirns positiv beeinflusst. Somit ist dieser letzte Teil match-entscheidend. Ich zeigte den Kursteilnehmern u.a. wie sie Menschen mit einer Frontallappenstörung durch neurorehabilitative Heimübungen (Sakkadenübungen, Stroop-Test, Gedächtnis- & Inhibitionsübungen uvm.) erfolgreich rehabilitieren können. Im Weiteren erfuhren sie wie wir Menschen mit einer funktionellen visuellen Dysfunktion (Sehstörungen), anhand von optokinetischen Übungen trainieren können, um deren Augendysfunktion zu verbessern. Für die Optimierung eines gestörten Gleichgewicht-Systems gab ich ihnen diverse zerebellär-vestibuläre Übungen an die Hand, welche Sie direkt umsetzen können (VIDEO NEUROREHABILITATION).
35 Teilnehmer aus 25 Bundesländern kamen für diesen zwei-tägigen Kurs nach Indore und im Nachhinein schlug der Kurs ein wie eine Bombe. Ich habe es tatsächlich geschafft, den doch komplizierten Inhalt der Neurologie einfach an die Leute zu bringen, damit diese ihre neurologischen Patienten erfolgreich weiterhelfen können.
Ein Fernsehteam hat die zwei Tage begleitet und es wurden auch Kursinhalte im öffentlichen Fernsehen ausgestrahlt, einige TeilnehmerInnen und ich durften auch Interviews geben. Immer wieder wurden in Zeitungen über diesen Kurs berichtet. Mit diesem medialen Auftritt habe ich nicht gerechnet (Video TV-Report 1, Video TV-Report 2, Video-Report 3).
Am Abend wurde ich zu einer Geburtstagsfeier eingeladen und als ausländischen Gast mit Herz und Seele bewirtschaftet. Es gab reichlich Fingerfood (Pani Puri, Roti und andere leckere indische Knabbereien, VIDEO KULINARIK INDIEN), reichlich Alkohol und ich habe u.a. viel von der Zwangsheirat und den verschiedenen Kasten erfahren. Das Hochzeitsvideo der Gastgeber wurde mir ebenfalls gezeigt, welches mich stark an einen Bollywood-Film erinnerte. Eine indische Hochzeitsfeier dauert in der Regel 10 Tage und ist mit einer schweizerischen Hochzeit nicht zu vergleichen, so pompös, mit verschiedenen farbenwuchtigen Kleidern, Pferden, Motorrädern und vielen Tänzen. Ich habe mich nicht getraut zu fragen, wie denn eine Scheidung aussehen würde.
Mein Wecker klingelte um 06.30 Uhr und ein wenig verkatert begab ich mich in die Dusche. Der zweite Kurstag startete offiziell um 08.00 Uhr morgens, letztendlich wurde mein Kursmikrophon um 10.00 Uhr in Betrieb genommen. Auch dieser Umstand verlangte viel Flexibilität von mir ab (das ist eben die Indian Flexible Time, in vivo).
Was mir am Unterrichten in Indien aber sehr gefällt, ist das immense Interesse der Teilnehmer am Inhalt und die Wertschätzung über den vermittelten Stoff. Einige Teilnehmer reisten teilweise über 800km nach Indore und das ist für uns Europäer nicht selbstverständlich. Nach gefühlten 300 Selfies mit den Kursteilnehmern in verschiedenen Kompositionen hiess es auf Wiedersehen zu sagen und aus dem Hotel auszuchecken. Der abgehaltene Kurs konnte als riesigen Erfolg verbucht werden.
Als nächster Stopp stand Surat auf der Liste. So nahmen Dr. Chirag Joshi und ich einen Nachtzug, um in das Bundesland Gujurat zu gelangen, wo er mit seiner Familie wohnt und eine eigene Praxis mit 12 Angestellten führt. Ich wurde in der Wohnung von Dr. Joshis Familie beherbergt. Dieser Tatsache verdanke ich, dass ich wirklich hinter die Kulissen sehen durfte und nicht steril in einem Hotelzimmer verweilte. Wie wohnen die Inder wirklich, wie und was essen sie (Besteck sucht man vergebens und gegessen wird nur mit der rechten Hand), wie gehen sie zur Arbeit, welche Probleme beschäftigen sie zurzeit? Das ist einfach ein Privileg, welches ich nicht missen möchte und als normaler Tourist sicherlich nicht mitbekommen hätte.
Die folgenden vier Tage habe ich sein komplettes Team in FNT geschult und wir haben ca. 210 Patienten damit behandelt (VIDEO SUPERVISION IN SURAT, INDIEN).
Zufällig war am Mittwoch ein nationaler Feiertag, den Raksha Bandhan, welchen ich hautnah miterleben durfte. Raksha Bandhan auch Rakhi Purnima (Purnima wörtl: Vollmond) oder einfach Rakhi genannt, ist ein wichtiger Feiertag im Hinduismus. Besonders im Norden von Indien populär findet er nach hinduistischem Mondkalender an einem Vollmondtag im Monat Shravana statt, nach westlichem Kalender meist Anfang August. Hauptsächlich feiert man den Tag als Fest der geschwisterlichen Verbindung. So knüpfen Frauen und Mädchen ihrem Bruder rituell ein gesegnetes Band, ein Rakhi, um das Handgelenk. Auch ich wurde in diese Zeremonie eingebunden und habe das Gefühl gehabt, eins mit ihnen zu sein. Diese Herzlichkeit zu erleben, Teil einer anderen Kultur zu sein, ist etwas sehr Besonderes.
Nach diesen 7 Tagen in Indien hiess es Abschied zu nehmen und in die Schweiz zu meiner Familie zurückzukehren. Was ich in einer Woche alles miterleben durfte, wird mich bestimmt noch eine Weile beschäftigen. Alle diese mir unbekannten Traditionen, Tugenden, politischen und religiösen Systeme hautnah zu erleben, helfen mir ein neues Weltbild zu erschaffen. Mein medizinisches Wissen weiterzugeben, damit so viele Menschen wie möglich zu erreichen, ist meine Motivation und mein Beitrag für eine bessere und gesündere Welt. Mit Indien begann diese Reise, weitere Länder werden demnächst folgen.
Adieu liebes Indien, aber ich komme schon bald wieder. Die nächsten Kurse in 2024 (März und Oktober) sind schon halbvoll ausgebucht. Dieses Mal besuche ich den Südosten und werde die Hauptstadt Chennai im Bundesstaat Tamil Nadu mit meinem Kurs FUNCTIONAL NEUROCEPTIVE TECHNIQUE unsicher machen.
Namaste, Andreas Philipp Kacsir Sir